Toter Asylbewerber in Dessauer Revierzelle
Polizisten hielten Brandknistern für Wasserplätschern
Rekonstruktion des Falls. Ein an Händen und Füßen gefesselter Polizist zeigt in der Originalzelle, welche Bewegungsfreiheit er hat. Foto: Uli Lücke
Die Staatsanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit dem Tod des afrikanischen Asylbewerbers im Polizeirevier Dessau gegen einen Beamten wegen Körperverletzung mit Todesfolge und gegen zwei Polizisten wegen fahrlässiger Tötung. Gestern wurden die bisherigen Ermittlungsergebnisse vorgestellt.
Dessau. „Das hätte nicht passieren dürfen“, stellte Dessaus Leitender Oberstaatsanwalt Volker Bittmann fest. „Die Polizei hat viele Fehler gemacht. Sie haben zum Tod von Ory Jallow geführt.“ Ob diese Fehler strafrechtlich zu bewerten sind, sei weiter offen. „Wir stehen bei der Wahrheitssuche am Anfang.“
Das Innenministerium leitete inzwischen drei Disziplinarverfahren ein und suspendierte den Gruppenleiter vom Dienst.
Der 21 Jahre alte Asylbewerber aus Guinea Bissau war am 7. Januar bei einem Brand in einer „Verwahrzelle“ des Dessauer Polizeireviers ums Leben gekommen. Er war eingeliefert worden, weil sich Frauen von ihm belästigt gefühlt hatten und seine Papiere nicht in Ordnung waren.
Bittmann legte gestern den Ablauf des Geschehens dar: Um 8. 30 Uhr war Jallow mit zwei Promille Alkohol, Kokain und Cannabis im Blut eingeliefert, eine viertel Stunde später durchsucht worden. Dabei fanden die beiden Beamten das Feuerzeug nicht, mit dem der Asylbewerber später die Matratze in seiner Zelle entzündete. Während der ärztlichen Untersuchung war der 21-Jährige bereits mit Handschellen an Händen und Füßen gefesselt.
Auch in Zelle 5 – einem gefliesten Raum mit Matratze auf einem Kachel-Sockel – wurde der Festgenommene mit vier Stahlschellen an Händen und Füßen „fixiert“, weil er „unruhig“ war. Das von der Staatsanwaltschaft gezeigte Video belegte, dass es dem Afrikaner trotzdem möglich gewesen war, ein Feuerzeug aus der Hosentasche zu ziehen und die Matratze in Brand zu setzen.
Von 11. 45 bis 11. 54 Uhr wurde die Zelle das vierte Mal kontrolliert. Sechs Minuten später stellte der Dienstgruppenleiter im Obergeschoss des Reviers für kurze Zeit die Wechselsprechanlage zur Zelle leise, weil er sich beim Telefonieren gestört fühlte.
Zwischen 12. 04 und 12. 09 Uhr hörten der Leiter und eine Kollegin „plätschernde Geräusche“ über die Sprechanlage. Weil es eine Pfütze in der Zelle gegeben habe, seien die Beamten von Wassergeräuschen ausgegangen, so Bittmann. Tatsächlich war es das Prasseln des Feuers.
Als der Rauchmelder anschlug, schaltete der Diensthabende zweimal den Alarm aus, weil es in der Vergangenheit bereits mehrere Fehlalarme gegeben hatte. Erst als der Lüftungsschalter Alarm schlug, ging der Polizeihauptkommissar in den Keller. Zur selben Zeit rief Jallow „Feuer“. Auf Grund des starken Qualms war es jedoch nicht mehr möglich, bis zum Afrikaner vorzudringen, sagte Bittmann.
Jallow starb an einem Hitzeschock, den die Brandhitze von 350 Grad auslöste. Die Folge: schlagartiger Atemstillstand und Herztod. Maximal sechs Minuten sei das Zeitfenster nach dem Brandausbruch gewesen, in dem der Afrikaner noch hätte gerettet werden können. Meinung
Von Bernd Kaufholz
Rekonstruktion des Falls. Ein an Händen und Füßen gefesselter Polizist zeigt in der Originalzelle, welche Bewegungsfreiheit er hat. Foto: Uli Lücke